Bekennt euch zu ihm vor allen Völkern, ihr Kinder Israels; denn er selbst hat uns unter die Völker zerstreut. Tob 13, 3

Nach so vielen Wochen fangen wir an, uns wahrscheinlich auch daran zu gewöhnen

Liebe Pfarrgemeinde von St. Barbara, Liebe Schwestern und Brüder in den Ortsgemeinden Riesa, Großenhain, Wermsdorf, Mügeln, Oschatz und Gröditz (Schreiben hier als pdf)

Wieder ist eine Woche der Pandemie vorbei! Für manche von uns hat sich in dieser Zeit des Wartens eher nicht viel verändert, außer vielleicht, dass das Privatleben und die Arbeit vielerorts durch das sogenannte Homeoffice unbemerkt zu verschmelzen drohen. Nach so vielen Wochen fangen wir an, uns wahrscheinlich auch daran zu gewöhnen. Ich hoffe sehr, dass Sie alle noch gesund sind.

Jeden Tag hören wir auch weiterhin von steigenden Zahlen derer, die sich mit dem Virus infiziert haben und diejenigen, die daran leider verstorben sind. Dass die Zahlen der Geheilten auch steigen, ist jetzt nicht so in der Öffentlichkeit wahrnehmbar, dass liegt aber auch daran, dass wir nicht immer wirklich von Geheilten sprechen können und deswegen die Behörden sehr vorsichtig geworden sind.

Wir fangen langsam an immer mehr zu erahnen, womit wir es hier eigentlich zu tun haben. Viele von uns versuchen das Beste aus der Situation zu machen und hoffen, dass bald die erlösende Meldung kommt, die Zahlen sinken. Es ist wirklich eine merkwürdige Zeit geworden und jeder versucht irgendwie damit klarzukommen und den verschiedenen Stimmen und Meinungen, die jeden Tag wechseln können, nicht allzu viel Raum zu geben, um einfach auch nicht durchzudrehen.

So mancher von uns vermeidet mittlerweile Sendungen in Funk und Fernsehen, die mit dem Corona-Virus und seinen Folgen etwas zu tun haben. Schauen oder hören wir dann doch mal rein, stellen wir fest, jetzt ist nicht nur die Zeit der Weltuntergangspropheten und der Verschwörungstheoretiker, sondern auch die Zeit derer, die jetzt scheinbar ganz genau wissen, was zu tun wäre, um etwas zu retten, was ohnehin vielleicht schon nicht mehr zu retten ist. Ein Ratgeber und Experte jagt den anderen.

Das gilt für alle Bereiche der Gesellschaft, bis in unsere Familien hinein. Vieles was jetzt an persönlichen oder wirtschaftlichen Krisen zu Tage tritt, hat seinen Ursprung eigentlich schon viele Monate, wenn nicht sogar Jahre vor Corona. Wir haben Vieles nur gekonnt übertünchen können, durch unsere zahlreichen Ablenkungsmöglichkeiten und sei dies nur in Form eines Ortswechsels.

Ängste oder Verzweiflung, unangenehme Charakterzüge, die zum Teil aufsteigen oder sichtbar werden, waren eigentlich schon immer da. Nur jetzt können wir diese nicht mehr mit allerlei Dingen runterdrücken oder verbergen. Wir alle sind auf uns selbst zurückgeworfen und stellen auf einmal fest, so geht es irgendwie auch nicht. Ich möchte dies jetzt gar nicht weiter ausführen, weil sich in dieser Corona-Zeit genügend kluge Leute damit beschäftigen.

Mir fällt nur auf, Ihnen vielleicht auch, dass wir uns mehr über wirtschaftliche Fragen den Kopf zerbrechen, so zum Beispiel, ob der Fußball das überhaupt überlebt, wenn nicht bald die Stadien wieder geöffnet werden.

Auf einmal rücken die Zahlen der Infizierten und die daran Verstorbenen völlig in den Hintergrund und wir können uns über die Sorgen mancher unserer Landsleute nur wundern. Geht es uns wirklich um den Menschen? Was ist denn mit den vielen Erkrankten oder Verstorbenen und deren Angehörigen? Was ist mit den Menschen, die jeden Tag mit ihren Ängsten ringen und leben müssen? Wer fragt denn nach den jungen Menschen, die voll Sorge in die Zukunft blicken, weil ihr Leben gerade auf der Stelle tritt?

Wer fragt denn nach den Familien oder Alleinstehenden, die ganz auf sich gestellt sind, die nicht zur Mittel- oder Oberschicht der Gesellschaft gehören, deren Leben gerade den Bach runter geht? Was ist mit denen, die sich jeden Tag aufs Neue fragen: „Was wäre jetzt das Richtige, das zu tun wäre?“ Es ist einfach zu kurz gedacht, zu behaupten: die Einen sind zu leichtsinnig und die Anderen sind zu ängstlich.

Wir stehen vor einem Szenarium, von dem niemand wirklich eine Ahnung hat, wie dies ausgehen wird. Deswegen ist auch bei all denen Vorsicht geboten, die jetzt behaupten, sie wüssten ganz genau, was zu tun sei! Dies können allenthalben Versuche sein einen Weg zu finden, mit der Krise klar zu kommen.

Nicht mehr, aber auch nicht weniger! Wir dürfen es auch nicht zulassen, dass wir polarisiert werden, von wem auch immer. Es gibt nicht nur die, die nichts tun wollen und auch nicht nur diejenigen, die es genau wissen, was zu tun ist. Es gibt zum Beispiel nicht die Systemrelevanten und auch nicht die Nichtrelevanten.

Es gibt nicht wirklich die Risikogruppen und diejenigen die zu keiner Risikogruppe gehören. Viele von uns wissen doch gar nicht, ob sie überhaupt zu einer der beiden Gruppen wirklich gehören oder nicht. Wenn jetzt die Wahl zum Unwort des Jahres wäre, würde ich das Wort „systemrelevant“ an erster Stelle und „Risikogruppe“ an zweiter Stelle wählen. Mein Regens im Priesterseminar hat einmal zu uns gesagt: „Welche tatsächlichen Positionen wir zu bestimmten Dingen oder Menschen haben, zeigt sich darin, wie wir über sie reden!“

Wenn wir über Systemrelevants von Menschen reden, polarisieren wir damit eine ganze Gesellschaft in wichtig und unwichtig. Wir teilen Menschen in bestimmte Kategorien ein und wir nehmen es einfach so hin. In den Medien wird sich darum gestritten, wie weit der Staat in die Freiheitsrechte seiner Bürger eingreifen darf, dabei merken wir gar nicht, wie die Gesellschaft sich langsam spaltet, in eine Rubrik der Wichtigen und in eine andere der vermeintlich Unwichtigen.

Denn das heißt es ja letztlich, wenn wir von systemrelevanten Berufen reden. Und noch etwas: „Von welchem System reden wir hier eigentlich?“ Für mich ist das Wort System in gesellschaftlicher Hinsicht negativ vorbelegt, denn ich hatte bereits ein System durchlebt und das reicht mir auch.

Liebe Schwestern und Brüder, wo ist bei all den Überlegungen eigentlich Gott? Gute Frage! Wo ist er? Vielleicht ist er uns näher als wir glauben und vielleicht greift er auch bewusst nicht ein, damit wir endlich begreifen worauf es letztlich ankommt:  Nämlich um uns Menschen!  Vielleicht möchte Gott uns die Augen öffnen, was die wahren Motive mancher sind, dass nicht „Danke“ gleich ein „Danke“ ist und Solidarität etwas ganz anderes meint, als was wir drunter verstehen. Dass es in Wirklichkeit nicht um uns geht, sondern erneut wieder nur ums Geschäfte machen auf Kosten der Schwachen. Bleiben wir wachsam und versuchen wir uns nicht steuern zu lassen, sondern zu steuern und das in ehrlicher Solidarität und Dankbarkeit.

 

In diesem Sinne, bleiben Sie gesund! Herzliche Grüße

Ihr Pfarrer Markus Scholz, Pfarrer Andreas Eckert, Gemeindereferent Matthias Demmich und Praktikant Michael Kreher